Menschen verwendeten schon immer und in aller Welt Pflanzen (griech. phyton) und deren Bestandteile zur Behandlung von Krankheiten. Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben die Schamanen und Heilkundigen ihr Wissen über die Heilwirkungen der Pflanzen immer weiter vertieft.
In den Heiltraditionen Indiens und Chinas wurde die Wirkung von Heilpflanzen schon vor Jahrtausenden genau beschrieben und systematisiert.
Auch Claudius Galenus (129–201 n. Chr.), der römische Leibarzt von Marc Aurel, schrieb ein medizinisches Werk über Heilpflanzen und deren Zubereitung.
Im Mittelalter erlangte Hildegard von Bingen (1098–1179) mit ihren Schriften Physica und Causae et curae große Bedeutung. Erstmals wurden von ihr die lateinischen Heilpflanzen-Namen auch in die deutsche Sprache übersetzt.
Paracelsus (1493–1541) schrieb ein umfangreiches Werk über Heilpflanzen (Herbarius).
Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert begann man mit der chemischen Untersuchung der Pflanzeninhaltsstoffe. 1811 wurde z.B. das Morphin als schmerzstillender Wirkstoff des Opiums entdeckt, später konnten andere Substanzen wie Nikotin, Atropin und Koffein aus den Pflanzen isoliert werden. Die wachsende pharmazeutische Industrie versuchte anfangs möglichst reine Pflanzeninhaltsstoffe zur Verfügung zu stellen. Später konzentrierte sie sich immer mehr auf die Herstellung chemisch synthetisierter Medikamente. Beispielsweise führte die Weidenrinde, die bereits im 5. Jh. v.Chr. von Hippokrates zur Schmerzbehandlung eingesetzt wurde, zur Synthese der Azetylsalicilsäure (Salicil von lat. salix = Weide), die als Aspirin® zum wohl am meisten verkauften Arzneimittel des 20. Jahrhunderts wurde.
Seit den 80er-Jahren des 20 Jh. ist eine wahre Renaissance pflanzlicher Arzneimittel in ganz Europa zu verzeichnen. Die alten Heilpflanzenkenntnisse werden mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden überprüft, und man bemüht sich um den Nachweis der Wirksamkeit von Phytopharmaka in klinischen Studien. Damit folgen die Hersteller dem öffentlichen Interesse, denn etwa 80 % der Bevölkerung bevorzugen Naturheilmittel.
Heute lassen sich zwei Schulen der Pflanzenheilkunde ausmachen:
Wirkungen
In der Pflanzenheilkunde versteht man unter Drogen bzw. Arzneidrogen getrocknete Pflanzenbestanteile sowie aus Pflanzen gewonnene Produkte, wie z.B. ätherische Öle oder Harze. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff „Drogen“ für suchterzeugende Rauschmittel, wie er im allgemeinen Sprachgebraucht verwendet wird.
Die speziellen Arzneidrogen werden aus verschiedenen Pflanzenteilen hergestellt (in Klammern stehen die lateinischen, pharmazeutischen Bezeichnungen): Blüten (flos), Früchte (fructus), das ganze oberirdische Kraut (herba), Samen (semen), Wurzeln (radix), Wurzelstock (rhizoma), Zwiebel (bulbus), Rinde (cortex), Holz (lignum).
Aus Pflanzen isolierte chemische Reinstoffe (z.B. Atropin, Codein, Digitoxin) werden heutzutage nicht mehr zu den Phytopharmaka gezählt. Heilpflanzen beinhalten eine Fülle verschiedener Wirkstoffe mit einem oft synergistischen Effekt, also einander ergänzender Wirkung. Die Wirksamkeit eines Phytopharmakons hängt eng mit der pharmazeutischen Qualität des pflanzlichen Extraktes zusammen, also dessen schonender Herstellung ohne Denaturierung bzw. Isolierung einzelner Wirkstoffe.
Wirkstoffgruppen
Entsprechend der naturwissenschaftlichen Ausrichtung der Phytotherapie lassen sich bei den Arzneidrogen verschiedene Wirkstoffgruppen unterscheiden:
Ätherische Öle sind bei Raumtemperatur flüchtige, fettlösliche und charakteristisch duftende Inhaltsstoffe. Sie besitzen eine anregende Wirkung auf Haut und Schleimhäute. In der Natur gibt es kaum Pflanzen, die vollkommen frei von ätherischen Ölen sind. Die Aromatherapie, auf die wir hier nicht näher eingehen können, bedient sich ausschließlich der pflanzlichen ätherischen Öle.
Sie haben u.a. folgende Wirkungen:
Alkaloide sind kompliziert aufgebaute, basisch (=alkalisch) reagierende und stickstoffhaltige Stoffe mit unterschiedlicher, aber meist starker und toxischer Wirkung. Sie sind daher nicht zur Teezubereitung geeignet. Die meisten Alkaloide werden wegen ihrer ausgeprägten Wirkungen und wegen der geringen therapeutischen Breite fast ausschließlich in Form isolierter, genau dosierbarer chemischer Reinsubstanzen eingesetzt. Aufgrund ihrer Wirkung auf das zentrale Nervensystem gehören zu ihnen bekannte Suchtdrogen, wie das Morphium und das daraus hergestellte Heroin, das Nikotin und auch das Koffein.
Alkaloide wirken entsprechend der Pflanzeninhaltsstoffe:
Viele Pflanzen beinhalten Alkaloide (wahrscheinlich, um sich vor Tierfraß zu schützen) wie z.B.
Glykoside sind eine Gruppe sehr unterschiedlich wirkender Substanzen, die alle eine Glykosid-Bindung aufweisen, also eine Verbindung zwischen zwei Zuckermolekülen. Entsprechend den daran hängenden chemischen Anteilen unterscheidet man Flavonoid-, Saponin-, Steroid-, und Triterpenglykoside.
Die Wirkungen sind sehr unterschiedlich:
Senf-Öle sind stechend riechende, flüchtige oder geruchlose, scharf schmeckende schwefelhaltige Verbindungen.
Sie wirken
Flavonoide sind häufig gelb (lat: flavus) gefärbte Stoffe, die meist mit Zuckermolekülen verbunden sind. Sie finden sich in vielen Pflanzenarten, stellen aber nur selten deren Hauptwirkstoff dar. Sie weisen unter anderem oft eine günstige Wirkung auf die Gefäßwände der Kapillaren auf und werden deswegen zur Behandlung von Venenerkrankungen, Arteriosklerose und Bluthochdruck, aber auch als Leberschutz eingesetzt.
Wirkungen:
Gerbstoffe haben die Eigenschaft, tierisches Eiweiß zu härten und so Haut in Leder zu verwandeln (= gerben). Aufgrund ihrer eiweißfällenden Wirkung vermögen Gerbstoffdrogen eine zusammenhängende Schutzschicht auf entzündeter Haut und auf Schleimhäuten zu bilden. Dadurch wird die Wundsekretion gehemmt, Blutungen werden gestillt und das Eindringen von Bakterien und Fremdstoffen in Wunden oder entzündetes Gewebe wird gehemmt. Man verwendet Gerbstoffdrogen deshalb äußerlich zur Behandlung von Wunden und Ausschlägen, bei Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut sowie innerlich bei Entzündungen im Magen-Darm-Trakt.
Wirkungen:
Emodine wirken abführend, indem sie den Abfluss von Natrium und Wasser aus der Darmschleimhaut verstärken.
Wirkungen:
Bitterstoffe (Amara) sind verschiedenartig aufgebaute intensiv bitter schmeckende Stoffe. Sie bewirken eine Steigerung der Magensaftsekretion, des Speichel- und Gallenflusses. Insgesamt ergibt sich so eine Verbesserung der Verdauungstätigkeit, der Appetit wird angeregt, Fäulnis- und Gärungsprozesse werden günstig beeinflusst. Zubereitungen aus Bitterstoffdrogen müssen vor den Mahlzeiten eingenommen werden. Viele Heilpflanzen enthalten neben Bitterstoffen auch noch andere Inhaltsstoffe. Daher unterscheidet man Amara tonica (reine Bitterstoffdrogen), Amara aromatica (Bitterstoffdrogen mit ätherischen Ölen), Amara acria (Bitterstoffdrogen mit Scharfstoffen) und Amara adstringentia (mit Bitterstoffen und Gerbstoffen).
Wirkungen:
Saponine sind glykosidische Stoffe, welche die Oberflächenspannung reduzieren – ähnlich wie Seife, daher die Bezeichnung (sapo – lat. Seife).
Ihre Wirkungen sind:
Schleimstoffe weisen ein hohes Wasserbindungsvermögen auf. Sie wirken entzündungsmildernd durch die Ausbildung eines Schutzfilms und abführend durch die Bildung unverdaulicher Schleimpolysaccharide.
Wirkungen:
Anwendungen
Jede Droge (Heilpflanze) bedarf zur optimalen Entfaltung ihrer Heilkräfte einer bestimmten Art der Zubereitung.
Zubereitungsformen
Tee ist die älteste und auch gebräuchlichste Anwendungsform von Heilpflanzen. Er ist ein wässriger Auszug der getrockneten oder frischen Droge und kann auf verschiedene Art zubereitet werden:
Meist sollte der Tee täglich frisch zubereitet getrunken werden. Früchte, die ätherisches Öl enthalten, wie Kümmel, Fenchel oder Anis, sollten vor der Teebereitung grob zerstoßen werden.
Als Dosierungsrichtlinie gelten (entsprechend der Heilpflanze!) etwa 1–2 EL bei Blüten-, Blatt- und Krautdrogen oder 1–2 TL bei Frucht- und Wurzeldrogen, die mit 150–200 ml Wasser zubereitet werden. Sofern nicht anders angegeben, sollte der Tee heiß schluckweise vor bzw. nach dem Essen getrunken werden.
Man kann Teezubereitungen innerlich (zum Trinken) und äußerlich in Form von Umschlägen, Bädern, Inhalationen oder auch zum Gurgeln verwenden.
Viele Phytopharmaka sind als Tropfen (alkoholische Drogenauszüge,
Tinktur), als Tabletten, Dragees oder als Kapseln erhältlich, die ein Extrakt der Heilpflanze bzw. eine Mischung verschiedener Extrakte enthalten. Extrakte sind auf einen bestimmten Gehalt eingestellte Zubereitungen und werden durch Extraktion mit Alkohol oder anderen Lösungsmitteln hergestellt. Anschließend wird das Lösungsmittel teilweise oder vollständig entfernt, was zu Flüssig- bzw. Trockenextrakten führt. Zur äußerlichen Behandlung werden Cremes, Salben, Gele oder Bäder hergestellt.