Traditionelle chinesische Medizin
Die traditionelle Chinesische Medizin (abgekürzt: TCM) stellt ein eigenständiges medizinisches System dar, das verschiedene philosophische Denkschulen und Heilverfahren aus der langen Geschichte Chinas in sich vereint.
Sie ist eine sehr alte Heilkunst und basiert auf einem alten Erfahrungswissen sowie philosophischen Hintergründen, welche sich aus dem Taoismus und Buddhismus herleiten.
Um 500 v. Chr. fasste Sheng Nung, der „rote Kaiser“ dieses alte Heilwissen in einem Buch zusammen, das die Grundlagen auch noch der heutigen chinesischen Medizin darstellt.
Die TCM und insbesondere die Akupunktur ist derzeitig in den westlichen Industrieländern sehr populär (während im heutigen China vorwiegend westliche Schulmedizin praktiziert wird…).
Die Akupunktur wurde inzwischen naturwissenschaftlich mittels Studien gut auf ihre Wirksamkeit hin untersucht und ist allgemein anerkannt. Sie wird von manchen Therapeuten isoliert eingesetzt, im Gegensatz zum traditionellen chinesischen System, wo sie allenfalls als eine Ergänzung zur Pflanzenheilkunde und den anderen Anwendungen darstellt.
Um die traditionelle chinesische Medizin besser zu verstehen, wollen wir uns zuerst mit einigen Grundbegriffen des chinesischen Denkens beschäftigen.
Die kulturell bedingten Hürden zu einem wirklichen Verständnis der chinesischen Medizin sind nämlich recht hoch.
Die chinesischen Schriftzeichen und somit auch das Sprachverständnis entwickelten sich aus alten, symbolischen und bildhaften Bedeutungen und können sehr vielschichtig verstanden werden.
Dies steht im Gegensatz zu unserer rationalen und vom dialektischen Denken geprägten Sprache und Schrift. Die Übersetzungen aus alten chinesischen Quellen können daher nur als annähernd stimmig betrachtet werden.
Das Tao wird als das eine und das erste Prinzip gesehen, das der Schöpfung zugrunde liegt. Im 5. Jahrhundert vor Chr. hat der berühmte Weise und Philosoph Lao-tse dieses Urprinzip in seinem berühmten Buch, dem „Tao Te King“, folgendermaßen beschrieben:
„Das Tao ist immer strömend, aber es läuft im Wirken doch nie über.
Tiefgründig ist es und Ahn aller Dinge.“
Das alles übergreifende „Eine“ ist das Tao. Von ihm ist alles ausgegangen, und es
besteht weiterhin zeitlos hinter und innerhalb der gegenständlichen Schöpfung.
Nach den Lehren des Taoismus ist diese ewig zeitlose Präsenz des Tao dem
menschlichen Bewusstsein durch intuitive Erfahrung und meditative Stille zugänglich.
Das Tao bringt aus der Einheit die Polarität (die Zweiheit) von Yin und Yang hervor. Diese werden oft als weiblich und männlich beschrieben, aber sie sind weitaus mehr. Im Spannungsfeld zwischen Yin und Yang entstehen alle Dinge. Alle Gegensatzpaare der Natur werden dieser dynamischen Wechselwirkung zwischen Yin und Yang zugeschrieben.
„Der Himmel ist Yang, die Erde Yin;
männlich ist Yang, weiblich Yin;
warm ist Yang, kalt ist Yin;
aktiv ist Yang, passiv Yin.“
(aus dem Tao Te King)
Yin, das passive und weibliche Prinzip, umfasst alles Dunkle, Kalte, alles Feste und Flüssige, die Nacht und den Winter. Unter der Yin-Wurzel des Menschen versteht man das Blut, die Säfte und die Substanz des Körpers, also alles, woraus der Organismus besteht und sich immer wieder erneuert.
Yang, der männliche Gegenpol, ist seiner Qualität nach aktiv. Yang umfasst alles Helle, Warme, Energetische, den Tag und die Sonne; alles Nicht-Sichtbare, was den Menschen ausmacht. Die Yang-Wurzel des Menschen ist Qi (Energie) und Wärme, also das energetische Potential, das alle Funktionen aufrechterhält.
Die Balance zwischen Yin (Substanz) und Yang (Energie) ist ausschlaggebend für Gesundheit, Aktivität, Ausgeglichenheit und Wohlbefinden. Körperliche und psychische Krankheiten entstehen, wenn Yin und Yang im Ungleichgewicht sind.
Das Tao bringt im Wechselspiel der Gegensätze von Yin und Yang die strömende
Lebensenergie, das Qi (ausgesprochen: tschi), hervor. Diese vitale Lebenskraft zeigt sich in allem Lebendigen in Form von Veränderung und Bewegung. Qi ist Leben, ständig in Bewegung, fließend, Veränderungen hervorbringend. Die Versorgung mit ausreichendem Qi ist für ein gesundes Wirken der Organe unerlässlich. Dazu sind nach chinesischem Denken die Meridiane zuständig, die als Energiekanäle verstanden werden können und deren „Knotenpunkte“ in der Akupunktur therapeutisch genadelt werden.
Gesundheit bedeutet nach den Vorstellungen der TCM ein harmonisches Zusammenwirken der Organe aufgrund eines ausgewogenen Angebots an Energie und Substanz. Die Organe werden weniger anatomisch-physiologisch verstanden, sondern mehr aufgrund ihrer energetischen Zusammenhänge mit Psyche, Körper und den Elementen. Aus der Atemluft und der Nahrung werden Qi und Substanzen extrahiert und den Organen über Energieleitbahnen (Meridiane) zugeführt.
Die Selbstheilungskräfte des Organismus sind ständig bemüht, die Ausgeglichenheit zwischen Yin (Blut, Säfte, Substanz) und Yang (Energie und Wärme) in jedem einzelnen Organ aufrecht zu erhalten. Eine gesunde Lebenskraft vermag kurzfristige Störungen und krankmachend Einflüsse auszugleichen. Langfristige Belastungen wie intellektuelle und körperlichen Überanstrengung, Hektik, Frustration, Ärger sowie ungünstige Ernährungsgewohnheiten überfordern irgendwann den Organismus. Es kommt zu einem Mangel oder Überschuss von Yin bzw. Yang in den Organen mit entsprechenden Beschwerdebildern.
Ebenso können äußere Faktoren wie z. B. Hitze, Trockenheit, Kälte, Feuchtigkeit
und Wind entsprechende Krankheiten hervorrufen, besonders wenn die Heilungskräfte des Körpers bereits geschwächt sind. Die äußeren klimatischen Faktoren, die den fünf (!) Jahreszeiten entsprechen, die Organmeridiane, die psychischen Faktoren und die Geschmacksrichtungen werden im chinesischen System den fünf Elementen zugeordnet.
Die fünf Elemente der TCM unterscheiden sich deutlich vom modernen naturwissenschaftlichen Verständnis der Elemente.
In der modernen Naturwissenschaft versteht man unter dem Begriff Elemente
die chemisch nicht teilbaren Grundstoffe des Periodensystems. Die chinesischen
fünf Elemente dagegen (ähnlich wie in den Gesundheitssystemen der Antike) stellen energetische Qualitäten dar, die sich auf die Organe und die seelischen Gefühle auswirken.
Einen ersten Überblick über die fünf Elemente und den ihnen zugeordneten Organe und Emotionen gibt die folgende Tabelle:
Element Organe (Yin-Yang) Emotion
Holz |
Leber-Galle |
Zorn |
Feuer |
Herz-Dünndarm |
Freude |
Erde |
Milz-Magen |
Besorgnis |
Metall |
Lunge-Dickdarm |
Traurigkeit |
Wasser |
Niere-Blase |
Angst |
Jeweils zwei Organe, von denen eines dem Yin- und das andere dem Yang-Pol zugeordnet ist, bilden ein Meridian-Paar. Die Elemente stehen in einem komplexen Zusammenspiel.
Der äußere Kreis zeigt den „fördernden Zyklus“: Die Elemente und damit die Organ- Paare werden im Uhrzeigersinn vom vorhergehenden Element gefördert, d. h. unterstützt.
Bildlich gesprochen wird beispielsweise das Feuer durch Vermehrung von Holz verstärkt; durch viel Feuer entsteht viel Asche (= Erde); aus Erde wird Metall gewonnen; viel Metall fördert Wasser; Wasser fördert das Wachstum von Holz. Die innen aufgezeigten dünnen Pfeile zeigen den hemmenden Zyklus auf. Die Elemente bzw. die Organe schwächen, wenn sie zu stark dominieren, das innen in Pfeilrichtung gezeigte nachfolgende Organ, nach dem Prinzip: „Wasser löscht das Feuer, Feuer schmelzt Metall, Metall schneidet Holz und Erde saugt das Wasser auf.“
Hier deutet sich ein wenig von der Komplexität, Vernetzung und Symbolhaftigkeit der traditionellen chinesischen Medizin an.
Krankheiten können nach chinesischer Lehre durch drei Arten von Ursachen ausgelöst werden:
Diese sind als Energieleitbahnen für das Qi bedeutsam für die Verteilung der Vitalkraft und die körperliche Gesundheit. Die Meridiane verlaufen symmetrisch über beide Körperhälften und beinhalten die Akupunkturpunkte, Punkte, wo der jeweilige Meridian besonders zugänglich ist. Bedeutsam sind v.a. die 12 Hauptmeridiane und zwei auf der Körpermittellinie verlaufende Meridiane.
Die zwölf Hauptmeridiane werden in 6 Yin- Meridiane und 6 Yang-Meridiane unterschieden.
Die Yin-Meridiane (Leber, Lunge, Milz/Pankreas, Herz, Niere und Kreislauf) verlaufen von unten nach oben (kommen sozusagen von der Erde, Substanz = Yin) und werden vorwiegend (abgesehen vom Herz) von den parenchymatösen Organen repräsentiert.
Die Yang Meridiane (Galle, Dickdarm, Magen, Dünndarm, Blase und Dreierwärmer) verlaufen von oben nach unten (vom Himmel zur Erde) und sind anatomisch gesehen von den Hohlorganen repräsentiert.
Die in der Mitte gelegenen beiden Sonder-Meridiane (Konzeptionsgefäß und Lenkergefäß) sind anatomisch keinem Organ zugeordnet.
Das Qi durchfließt die Meridiane in einem 24 Stunden-Rhythmus, woraus sich die so genannte Organ-Uhr ableiten lässt. Jeweils 2 Stunden lang ist einer der zwölf Meridiane am meisten von Qi durchflutet.
Außer den zwölf Hauptmeridianen, den beiden Sondermeridianen gibt es noch weitere Meridiane (z.B. Nebengefäße, Lo-Gefäße und Meridianverbindungen), auf die wir im diesem Rahmen nicht näher eingehen können.
Die TCM- Behandlung versucht das Qi wieder zum Fließen bringen und das Gleichgewicht der Meridiansysteme und der energetischen Qualitäten wieder herstellen.
Eine fachgerechte Behandlung mittels TCM umfasst die Anwendung von:
Die traditionellen chinesischen Ärzte stellen ihre Diagnose mit allen ihren Sinnen: dem Sehen, Fühlen, Riechen und Hören (Anamnese).
Die Puls-Diagnostik stellt einen besonderen Aspekt der Diagnose-Stellung dar.
Die Pulstastung erfordert ein hohes Maß an Übung und Feingefühl. Hier spielen im Gegensatz zur modernen Schulmedizin (die allein zur Bestimmung der Herzfrequenz dient) feinste unterschiedliche Pulsqualitäten eine Rolle, wie oberflächlich, tief, langsam, schnell, leer, voll, schlüpfrig, gespannt, saitenförmig usw. Insgesamt werden 28 Pulsqualitäten unterschieden, wobei die Puls-Diagnose sich (bei gleichen Patienten) abhängig von den Untersuchern als sehr individuelle Interpretation herausstellt. Je nach Lokalisation der genauen Pulstaststelle am Handgelenk (A. radialis) werden die Pulsqualitäten den einzelnen Meridianen zugeordnet.
Die Akupunktur befasst sich vorwiegend mit den Meridianen und den darauf liegenden „Energie- Knotenpunkten“, den Akupunkturpunkten, die mittels Nadelung, Druck, Laserbestrahlung, oder Wärmezufuhr behandelt werden.
Die Akupunktur-Punkte sind anatomisch exakt festgelegte Stellen mit einem Durchmesser von 2-5 mm und heben sich durch folgende Merkmale von ihrer Umgebung ab:
Nach neueren Untersuchungen liegen die Punkte häufig an Gefäß-Nerven und weisen histologisch eine Häufung an Rezeptoren (Meissner-Tastkörperchen, Merkel-Tastscheiben und Krause-Endkolben) auf.
Bei der Nadelung der Akupunktur-Punkte lässt sich ein leichtes Hineingleiten der Nadel feststellen, wenn der Punkt richtig getroffen wurde, was auf die anatomische Besonderheit dieser Punkte hinweist. Die Patienten bemerken dann oft einen tiefen, dumpfen Schmerz, Wärme, Kriebbeln oder Taubheitsgefühl (De-Qi-Gefühl), das in Richtung des Meridians ausstrahlt. Oft kann das De-Qi –Gefühl durch eine geschickte Manipulierung der Nadel geweckt werden, indem diese beispielsweise angehoben, eingesenkt oder gedreht wird.
Ohne Auslösung eines De-Qi –Gefühls bleibt die Behandlung oft wirkungslos.
Beim Entfernen der Nadel nach etwa 20 Minuten haben manche Akupunkteure das Gefühl, das Gewebe würde die Nadel quasi „festhalten“, was ebenfalls ein Hinweis auf eine korrekte Nadelung ist.
Traditionell werden Akupunkturpunkte auch mittels Moxibustion behandelt, bei der glimmendes getrocknetes Beifuß-Kraut (z.B. in Form einer Art Zigarre) in die Nähe des Akupunkturpunktes gehalten, oder auf eine Akupunkturnadel aufgesteckt wird, um Energie mittels Wärme zuzuführen.
Neuere Verfahren zur Behandlung von Akupunkturpunkten sind:
Weitere Sonder-Formen der Akupunktur sind die Ohr-, die Gesichts-, die Nasen-, Kopf-, Hand-, Fuß-, und Schädelakupunktur, die sich auf die Reflexzonen und den zugehörigen Akupunkturpunkten der jeweiligen Körperregion beziehen.
Die Ohrakupunktur (Aurikulotherapie z.B. nach Nogier) wird von Therapeuten gerne eingesetzt (vielleicht weil sie relativ leicht zu erlernen ist) und ordnet die einzelnen Ohrregionen den jeweiligen Körperarealen zu. Die Ohrmuschel repräsentiert demnach wie ein Spiegelbild den gesamten Organismus in Form eines auf den Kopf gestellten Embrios.
Die Ohr-Punkte werden nicht nur genadelt, sondern mit fixierten kleinen Dauernadeln oder Magnetkügelchen, Laser- oder Farbbestrahlungen behandelt.
Der ursprüngliche chinesische Katalog der Heilmittel nennt 11000 Pflanzen, 1500 Tiere und 80 Mineralien sowie eine Liste von 100 000 Anwendungen und Rezeptvorschriften. Dagegen steht für die Anwendung im deutschsprachigen Raum ein Arzneibuch der chinesischen Medizin zur Verfügung, in dem rund 300 Arzneidrogen beschrieben sind.
Behandlungsschwerpunkte der TCM sind chronische Schmerzen, funktionelle Störungen und chronische Leiden. Prinzipiell können alle Arten von Krankheiten behandelt werden, wobei Patienten mit auszehrenden Erkrankungen wie z.B. bösartigen Tumoren meist nicht über ein für die Heilung erforderliches Regulationspotential verfügen.
Die Akupunktur ist, wie bereits erwähnt, nur als ein Teil einer ganzheitlichen Behandlung nach den Regeln der TCM zu verstehen. Bei den folgenden Indikationen hat sich die Akupunktur als besonders wirksam erwiesen: Migräne, Kopfschmerzen, HWS-Syndrom, Spasmen der inneren Organe, Reizmagen, Reizdarm, Schlaflosigkeit, Neuralgien, funktionelle Durchblutungsstörungen der Extremitäten, Asthma bronchiale, Schnupfen und Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis), Tennisellenbogen (Epikondylitis) und Lumbalgie.
Indikationen für Ohrakupunktur sind vor allem schmerzhafte Zustände wie Kopfschmerzen, Migräne oder Neuralgien, funktionelle Beschwerden, wie Reizdarmsyndrom, vegetativer Dystonie oder Phantomschmerzen, sowie Beschwerden des Bewegungsapparats. Einen besonderen Stellenwert hat die Ohrakupunktur zur Unterstützung bei Raucherentwöhnung, kann aber auch bei Anorexie oder Bullämie (Mager- bzw. Eß-Brechsucht) von Nutzen sein.